Die Vision vom geistigen Aufbruch der Gemeinde
Gedanken, Forderungen und Konzepte zur Kulturarbeit
von Ernst Meir Stern
Der bund hat eine kühne Vision: Unsere Gemeinde soll ihre einstige Bedeutung als geistig – kulturelles Zentrum in diesem Land wieder erlangen. Dies erfordert eine völlig andere Art von Kulturpolitik seitens der Kultusgemeinde als bisher. Wie wir uns das vorstellen ...
Ältere Jahrgänge werden sich an die Zeiten erinnern, als kulturelle Aktivitäten zum überwiegenden Teil von der Kultusgemeinde selbst getragen wurden. Der Entwicklung der Finanzlage Rechnung tragend, ging das kulturelle Geschehen mehr und mehr auf die vielen Organisationen über, und, wie sich erwies, geriet diese „Auslagerung“ keineswegs zum Nachteil der kulturellen Entwicklung. Jedoch macht man es sich seitens der IKG derzeit allzu einfach, sich ihrer kulturpolitischen Verpflichtung fast gänzlich zu entziehen. Aus der Pflicht, aktive und vor allem zukunftsorientierte Kulturpolitik zu betreiben, darf die Kultusgemeinde keineswegs entlassen werden!
Ernsthaft betriebene Kulturpolitik wird weniger am finanziellen Aufwand gemessen, als vielmehr an Kreativität und Innovation, sowie an der Schaffung eines gesellschaftlichen Klimas, welches die geistige und intellektuelle Entwicklung, vor allem der jungen Generation, positiv beeinflusst. Das setzt jedoch voraus, dass sich die herkömmlichen Voraussetzungen, Strukturen und Denkweisen zum Teil radikal ändern müssen. Phantasie und Courage sind gefordert, um neue Wege zu beschreiten. Der bund wird alles daransetzen, damit dies nicht bloß eine schöne Vision bleibt und präsentiert an Stelle eines nebulosen Begriffes wie „Spiritualität“ ganz konkrete Maßnahmen.
Die Vision des bund:
Der bund versteht unter Kulturarbeit mehr als die bloße Konservierung von Bewährt -Traditionellem und folkloristischer Brauchtumspflege. Wir arbeiten darauf hin, in der Öffentlichkeit und auch in der IKG einen Bewusstseinswandel zu schaffen, der zeitgemäße Formen kulturellen Schaffens akzeptiert. Die Zeit ist reif für eine neue Ära, für einen längst überfälligen, geistig - kulturellen Aufbruch der jüdischen Gemeinde! Dieser wird längerfristig einen Imagewandel bewirken, die IKG sowie das gesamte Gemeinwesen auch für noch „Abseits Stehende“ attraktiver machen und dem Judentum in diesem Land wieder jene Geltung verschaffen, die es schon einmal inne hatte.
Die Forderungen des bund:
Die Politik muss begreifen, dass es nicht damit getan ist, jegliche Kulturarbeit (bis auf einige elitäre und finanziell aufwendige Prestigeveranstaltungen) „auszulagern“, sondern dass es auch zu ihren Pflichten gehört, Impulse für das Kulturleben im weitesten Sinn und in allen denkbaren gesellschaftlichen Bereichen zu geben, intellektuelle Akzente zu setzen, Begabungen zu fördern und die von ihr geschaffenen Institutionen mit Leben zu erfüllen.
Als erster Schritt in eine neue Ära ist die obsolete Kulturkommission, finanziell ausgehungert und längst nur noch ungeliebter „Appendix“, schleunigst umzustrukturieren, personell hochkarätig mit „Köpfen“ zu besetzen und damit qualitativ aufzuwerten. Die bisherige Praxis, die Kulturkommission mit VertreterInnen der Fraktionen parteipolitisch zu besetzen, ob diese nun befähigt sind oder nicht, ist kontraproduktiver Unfug und ein für allemal abzustellen. (Es wäre dies nicht einmal ein Präzedenzfall, denn die Sicherheitskommission besteht ebenfalls ausschließlich aus Experten).
Das Konzept des bund:
Vielmehr müsste eine vom Kultusvorstand mit der Koordination und Moderation beauftragte Person versuchen, Kulturschaffende an einen Tisch zu bringen, die sich für einen gewissen Zeitraum verpflichten, im Rahmen ihrer Möglichkeiten für die IKG in Form eines „think-tank“ oder „brain trust“ (oder wie immer man es nennen will) ehrenamtlich kreativ tätig zu sein.
Der Begriff „Kulturschaffende“ ist dabei breit gefächert. Das können Autoren, Schauspieler, bildende und darstellende Künstler, Musiker, Journalisten, Publizisten, Rabbiner, in Lehrberufen oder im Kulturmanagement Tätige, aber auch Geisteswissenschaftler und Sportler sein. (Ja, auch der Sport zählt für uns zum Kulturleben!) Dieser „think tank“ sollte personell zwar nicht allzu aufgebläht sein, für Interessierte, die konstruktive Beiträge leisten wollen, jedoch jederzeit offen stehen.
Solcherart entstünde eine im besten Sinn elitäre intellektuelle Runde, welche, über den Horizont der „täglichen Geschäfte“ hinausblickend, Ideen kreiert, Anregungen liefert und Impulse setzt, die entweder von der IKG selbst oder anderen Organisationen umgesetzt werden. Durch die vielfältigen persönlichen und beruflichen Kontakte der Mitglieder dieses Gremiums könnte sich auch ein fruchtbarer „Multiplikator-Effekt“ entwickeln. Es versteht sich von selbst, dass der „think – tank“ nicht im Elfenbeinturm als Selbstzweck agiert, sondern mit allen Organisationen, Vereinen und Institutionen kommuniziert.
Denkarbeit nicht budgetbelastend
„Und kann sich das die IKG auch finanziell leisten?“ werden jetzt die diversen beinharten Budgetsanierer sowie Kontrollfreaks einwenden. Ihnen können wir nur schlicht und beruhigend antworten, dass Denkarbeit und „Brainstorming“ absolut kostenneutral sind!
Natürlich benötigt kulturelles Schaffen auch Geld. Die IKG verfügt über budgetäre Mittel für einschlägig tätige Vereine und Organisationen und wusste diese bisher schon gezielt einzusetzen. Und es existiert auch ein Kontrollorgan, welches die widmungsgemäße Verwendung von Subventionen jederzeit prüfen kann. Mehr Geld für kulturelle Aktivitäten wäre natürlich wünschenswert, ist aber aufgrund der budgetären Situation derzeit unrealistisch. Ein positives Signal seitens „der Politik“ wären allerdings verstärkte Bemühungen um Sponsoren, Mäzene, Stiftungen sowie Fundraising für spezielle Projekte.
Schwerpunkt bei der „jungen Generation“ setzen
Zukunftsorientierte Kulturpolitik muss an der jüngeren Generation ausgerichtet sein, also an Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Hier schlummert enormes intellektuelles und auch geistiges Potential! Daher finden sich die folgenden Punkte auch in unserem Programm für die Jugendarbeit der IKG, welches wir bereits präsentierten und daher noch einmal in geraffter Form vorstellen.
- Enge Kooperation des „Kultur-brain-trusts“ mit den Kommissionen für Jugend/Sport und Bildung (und damit den Jugendorganisationen), sowie punktuell mit Institutionen wie ESRA, dem JBBZ, dem Institut für
- Erwachsenenbildung, einzelnen Abteilungen der IKG und Vereinen wie dem Jehuda Halevi Zentrum.
- Für begabte StudentInnen besteht die Möglichkeit, Stipendien zu erhalten. Die entsprechenden Richtlinien werden von der IKG bzw. Stiftungen vorgegeben.
- Talentierte SchülerInnen werden gefördert und motiviert. Die Kommission hält zu diesem Zweck Kontakte mit dem pädagogischen Personal aller jüdischen Bildungsstätten. Vorstellbar sind Seminare, Workshops und Themen – Wettbewerbe auf den Gebieten Musik, darstellende und bildende Kunst, Film, Fotografie, elektronische Medien, Schriftstellerei, Journalismus.
- Jüdische SchülerInnen an anderen Bildungsinstitutionen erhalten selbstverständlich die Möglichkeit, an diesen Bewerben teilzunehmen.
- Die Medien der IKG stehen als Forum für die Vorstellung dieser jungen Menschen bzw. ihrer Arbeiten zur Verfügung, für Präsentationen mit Publikum (z.B. Ausstellungen) werden die Räumlichkeiten der IKG und ihr nahe stehender Institutionen genützt. Das jüdische Museum der Stadt Wien sollte natürlich gleichfalls einbezogen werden.
- IKG-eigene Veranstaltungen wie Ehrungen, das traditionelle Straßenfest etc. bleiben unter der bewährten Oberhoheit der Verwaltung.
- Anzustreben sind enge Kooperationen mit dem Stadtschulrat und dem Kulturamt der Stadt Wien mit dem Ziel, jüdische Kultur in ihrer ganzen Vielfalt und Bandbreite stärker als bisher in das Kulturleben der Stadt zu integrieren.
Die meisten dieser Aktivitäten erfordern kein großes Budget, sondern lediglich Engagement, flexibles Denken sowie bestmögliche ideelle sowie logistische Unterstützung durch die bestehenden Institutionen und die Abteilungen der IKG.