Der Präsidentschaftskandidat und die „ Mutter aller Wahlschlachten“
von Ernst Meir Stern
Der Kandidat kletterte mühsam aus dem Bett und sogleich begannen seine Gedanken um die Wahlkampagne zu kreisen. Hatte er wirklich genug unternommen, um die Massen für sich einzunehmen? Ständig lag ihm sein PR-Berater in den Ohren, dass es noch immer nicht gelungen sei, die wichtigsten Fernsehkanäle des Landes zu einer ultimativen „Personality-Story“ über den Herausforderer zu bewegen, während, verflixt nochmal, der amtierende Präsident immer wieder mit politischen Statements in der Öffentlichkeit brillierte.
„Gibt sich jovial und als Präsident für alle, und dabei ist er ein beinharter, technokratischer Machtmensch“ brummelte der Kandidat auf dem Weg ins Bad. Nein, er konnte seinen Rivalen auch persönlich nicht ausstehen. Er musste ihn in der medialen Präsenz unbedingt übertrumpfen, wenn er eine reelle Chance haben sollte. Es war, gestand er sich ein, ein Fehler gewesen, sich vor Jahren frustriert aus der Politik ins Privatleben zurückgezogen zu haben. Jetzt musste er sich dem Volk erst wieder in Erinnerung rufen.
Bis zum Abend würde er seine nächste Kolumne für eine renommierte Traditionszeitung dem Computer anvertrauen müssen. Doch diese Gazette wurde nur von einer Minderheit konsumiert. Aber wenigstens hatte er eine kluge Frau, die der Öffentlichkeit bekannt war. „Was wär‘ ich ohne sie“, gestand er sich ein und bedachte die attraktive Mutter seiner Kinder mit liebevollem Blick.
Den Bartstoppeln zuleibe rückend, resümierte er seinen vorabendlichen Auftritt bei einer religiösen Zeremonie. „Vielleicht hätte ich besser doch nicht vorsingen sollen“, brummelte er in den Rasierschaum. Seine Berater hatten davor gewarnt, da Gesang nicht gerade seine Stärke war. Aber, lobte er sich selbst, irgendwie hatte er das Auditorium doch beeindruckt. „Wie das wohl im TV rübergekommen ist?“ fragte er sich, denn seine Entourage hatte dafür gesorgt, dass ein privater Sender das Ereignis aufzeichnete.
Überhaupt, seine hartnäckige Kampagne um die Gunst religiöser Schichten. Seit er die Werbetrommel mit dem Slogan „mehr Spiritualität“ zu rühren begonnen hatte, ließ er kaum eine Gelegenheit aus, sich vor g‘ttesfürchtigem Publikum zu präsentieren – von der Konkurrenz dafür mit Spott überzogen. „Unglaubwürdige Anbiederei“ war noch die wohlwollendste Häme. „So glaubwürdig wie die bin ich noch lange“ sprach er sich während der Zahnpflege trotzig selbst Mut zu, „und den Versuch ist es allemal wert, denn schließlich zählt jede Stimme, wenn es darauf ankommt“.
Eine, das wusste er nun sicher, würde er nie bekommen. Nämlich die eines Touristikunternehmers, der die Idee gehabt hatte, Menschen an Freitagabenden bei Speis‘ und Trank zusammen zu bringen. Naiverweise hatte der Unternehmer mit seiner Idee nicht hinter dem Berg gehalten. Mit dem ihm eigenen brennendem Ehrgeiz hatte der Kandidat das Projekt flugs für sich und sein Team usurpiert und öffentlich beworben. Pech nur, dass ein notorisch quälgeistiger Journalist davon Wind bekommen und die Sache in seinem Weblog genüsslich ausgeschlachtet hatte. Der Touristiker tobte und so wurde eine Entschuldigung, von der die Öffentlichkeit allerdings nichts erfuhr, fällig. „Aber was, wo gehobelt wird, fliegen schließlich Späne und Politik ist nichts für Zimperliche“ tröstete sich der Kandidat beim Morgenkaffee über die kleine Schlappe hinweg.
Der lästige Muskelkater im Handgelenk erinnerte ihn an die bevorstehende Tennispartie im Club. Aber das war eben der Preis für einen wahren Händeschüttelmarathon in dem Pensionistenheim, welches er anlässlich eines Kulturevents besucht und sich leutselig von Tisch zu Tisch durchgekämpft hatte. Dass viele der betagten Leutchen danach gefragt hatten, wer denn das nun wieder gewesen sei, focht den Kandidaten nur wenig an.
Viel peinlicher war da schon die Mini – Affäre, die ihm seine liebe Frau – in bester Absicht - eingebrockt hatte. Als Leiterin und Gastgeberin eines Kulturinstitutes hatte sie seinem Rivalen anlässlich einer CD – Präsentation doch glatt untersagt, die Laudatio auf den beliebten Künstler zu halten, argwöhnend, der amtierende Präsident würde die Gelegenheit zur Wahlpropaganda in eigener Sache ergreifen. Die Empörung war groß und die Wahlhelfer seines Rivalen würden diesen Fauxpas nun erst recht weidlich ausschlachten.
Trost fand der Kandidat beim Durchblättern seiner Pressemappe. Mehrere wichtige Gazetten hatten gleich zu Beginn seiner Wahlkampagne ausführliche Stories gebracht und dabei seine Rolle als chancenreicher Herausforderer im Rennen um die Präsidentschaft herausgestrichen. Geschickt hatte er es dabei vermieden, sich auf ein konkretes Programm festnageln zu lassen und nur vage von nötigen Veränderungen, spirituellem Aufbruch, kulturellem Aufschwung und Öffnung geredet – wohl gewahr, dass die Journaille an Inhalten weniger interessiert war als an der persönlichen Rivalität zwischen ihm und dem gegenwärtigen Benützer des präsidialen Schreibtisches.
Dessen sorgsam aufgebautes Image als hemdsärmeliger, dynamischer Macher würde er nicht ankratzen können. Daher hatte er sein Team beauftragt, seinen eigenen Ruf als Intellektueller, Mann des Kulturellen und Vergeistigten, in die Welt hinaus zu tragen. Nicht eine Sekunde dachte er daran, seinem, angesichts der bestehenden Mehrheitsverhältnisse vor Selbstbewusstsein strotzenden Kontrahenten, das Feld kampflos zu überlassen. Da setzte er voll auf die Fähigkeiten jener noch jugendfrischen MitstreiterInnen, die vor der letzten Wahl noch mit einer eigenen, sich rebellischen gebenden Fraktion Furore gemacht hatten und die er in seine Partei „inhaliert“ hatte. Ja, auf diesen genialen Überraschungscoup durfte er wohl zurecht ein klein wenig stolz sein. „Alles für die Jugend“ lautete der griffige Slogan, und die dazu passenden Inhalte und Konzepte würden ihm und seinen Helferlein schon noch rechtzeitig einfallen. Nötigenfalls konnte man noch immer von Konkurrenten abkupfern. Die Fraktion seines Rivalen machte es ja, frei von Skrupeln, genauso. Dem Wahlvolk sollte das bei den Hekatomben an großformatigen, bunten Zeitungen und Foldern der wahlwerbenden Gruppen ohnedies kaum auffallen.
Auf den Nachmittag war er auch schon gespannt. Da wollte er einige Proponenten kleinerer Fraktionen überreden, ihm bei der entscheidenden Abstimmung ihre Stimme zu geben. Die großzügigen Versprechungen, bei der Subventionsvergabe und Finanzierung von Projekten spendabler zu sein als die Konkurrenz, sollten ihre bewährte Wirkung nicht verfehlen.
Also, alles in allem lief es gar nicht so übel. Geld war genügend vorhanden, um die Omnipräsenz des Kandidaten zu sichern. Doch, und der Herausforderer war sich dessen bewusst, auch die Konten der Präsidentenpartei waren wohl gefüllt und die „Mutter aller Wahlschlachten“ konnte über das Volk hereinbrechen. Nun, er war gerüstet. Sendungsbewusst wie immer, mit sich und der Welt im Einklang, machte sich der Kandidat federnden Schrittes auf den Weg zum Tennisclub. Seinen Gegner gedachte er heute ebenso gnadenlos vom Platz zu fegen wie alle Konkurrenten bei der November-Wahl ...