Willi Mörzinger s. A.
An einem wolkenverhangenen Wochentag im August trugen wir unseren lieben Freund Willi Mörzinger zu Grabe. Wir, die kleiner werdende Schar der Gründergeneration des Haschomer Hazair in der Nachkriegszeit. Es war zu Beginn der Fünfziger Jahre, als eine berührende Liebesgeschichte zwischen dem 18jährigen Willi und seiner „Chanicha“, der gerade 14jährigen Amira ihren Anfang nahm. Sie sollte 60 Jahre andauern - bis das der Tod sie schied.
Von Ernst Meir Stern
1933 in Wien geboren, blieb Willi, dessen Mutter aus frommem Haus stammte, die Deportation durch die Nazis erspart. Diese erkannten aufgrund ihrer „Rassengesetze“ den Übertritt seines Vaters zum Judentum nicht an, was sich nachträglich als Glücksfall erwies. Zwar blieben der Familie zahlreiche Restriktionen und Demütigungen durch die Schergen des Regimes nicht erspart, doch sie überlebten irgendwie den Terror und ebenso die Luftangriffe der Alliierten auf Wien. Im Alter von 16 trat der Realschüler Mörzinger der Jugendbewegung Haschomer Hazair bei.
„Eines Tages“, so erinnert er sich im Buch „Haschomer Hazair – Ein Nest verwundeter Kinderseelen“ in prägnant lakonischem Stil, wie es seine Art war, „tauchte im Ken eine kleine, dünne Sabra auf. Sie war 14 und hieß Amira Messinger.“ In der Nachbarschaft wohnend, nahm sich Willi des Mädchens, das sich in ungewohntem Klima und im Nachkriegswien zunächst völlig fremd und verloren fühlte, an. „Wir verliebten uns und fuhren mit einer Gruppe Chawerim im Herbst 1951 nach Israel in den Kibbuz Ramat Haschofet.“
Eine mehr oder weniger heimliche „Alijah“, denn „ das alles brachte auch viele Probleme mit den Eltern mit sich“, so die, im Kontrast zu Willis ruhigem Naturell impulsive Amira im selben Buch, „Sie hatten ihre Kinder mit Müh und Not durch den Krieg gebracht und mussten nun erkennen, dass diese sie wegen Israel verlassen wollten. Viele folgten dem Ruf und vergaßen alles andere…“ Da ihre Eltern nach Israel zurückkehrten, folgte Willi seiner Amira. “Er war der einzige Sohn und seine Eltern zerbrachen beinahe daran. Sie verstanden nicht, dass er mit der kleinen ‚Sabra‘ allein und ohne sie in einen Kibbuz ging.“
Aus diesem Grund kehrte das Paar zwei Jahre später auch nach Wien zurück und heiratete am 31. Dezember 1954. Der glücklichen Ehe entsprangen Tochter Petra und Sohn Michael, die mittlerweile je drei Kinder haben, sie alle der ganze Stolz ihrer Eltern und Großeltern.
Amira gewöhnte sich an die geänderten Lebensumstände in einem Wien, das langsam wieder lebenswerter wurde. Willi übte den Beruf des Buchhalters aus und gemeinsam führten die Mörzingers viele Jahre lang mit Erfolg eine Papierhandlung. Rückhalt gaben ihnen nicht bloß die Familie, sondern auch die Freunde aus der Jugendbewegung in Österreich und Israel, mit denen rege Kontakte gepflogen wurden und die Willis Intelligenz, Ernsthaftigkeit und Hilfsbereitschaft ebenso zu schätzen wussten wie das herzliche Temperament und die Kochkünste seiner Frau. Wenn die Mörzingers einluden, kamen wir alle in Scharen, um im schönen Garten an einem Seitenarm der Alten Donau und dem schmucken Häuschen, das Willi gebaut hatte, unbeschwert heitere Stunden zu verbringen und Neuigkeiten sowie Erinnerungen auszutauschen.
Auch bei den regelmäßigen Zusammenkünften der „Alt – Schomrim“ waren Willi und Amira über Jahrzehnte integrierter Bestandteil. Erst als vor einigen Jahren eine schwere Erkrankung Willi Mörzinger für lange Zeit außer Gefecht setzte, sah man die beiden seltener. Von seiner Krankheit gezeichnet, ließ es sich Willi jedoch nicht nehmen, an der Hundertjahr – Feier des Haschomer Hazair teilzunehmen und das Wiedersehen mit vielen angereisten Freunden zu genießen.
Das Schicksal fügte es, dass auch Amira ernsthaft erkrankte und schließlich ins Maimonides – Zentrum zur Pflege gebracht wurde. Nach 60 gemeinsamen Jahren befiel Willi, dem bewusst wurde, dass er mit seinem Lebensmenschen nur noch bei Besuchen beisammen sein konnte, das Gefühl beklemmender Einsamkeit. Umso mehr freute er sich, als wenige Tage danach Arie Talmi, sein einstiger Madrich, nunmehr 92, aus Israel zu Besuch kam und die beiden ein Treffen verabredeten Doch dazu kam es nicht mehr. Willi Mörzinger verstarb in der Nacht davor in seiner Wohnung.
Wir trauern um Willi, diesen ganz besonderen, wertvollen Menschen, und werden ihn stets in liebevoller Erinnerung behalten. Unser Mitgefühl gilt Amira, ihren Kindern und Enkeln sowie allen anderen Angehörigen. Ein letztes „Chasak w‘ematz“, lieber Willi! Du hast diese schomrische Grußformel wahrlich gelebt.