Wiens Juden: Helfen im Bewusstsein der Gefahr
IKG - Bürgerparlament zur Flüchtlingsproblematik
von Ernst Meir Stern
Ein Flüchtlingsstrom überschwemmt seit Monaten Österreich, Ende nicht in Sicht. Zigtausende haben um Asyl angesucht. Angesichts der antisemitisch motivierten Terrorakte islamistischer Extremisten in Europa brennt auch – und besonders - Wiens Juden das Thema „Flüchtlings – und Asylpolitik“ förmlich unter den Nägeln. Die Kultusgemeinde berief ein Bürgerparlament ein, in dem Gemeindemitglieder ihre Erfahrungen, Ängste und Vorschläge sowie Fragen an eine Expertenrunde einbringen sollten. Der bund war dabei.
Dienstagabend, das Gemeindezentrum ist bis auf das letzte Plätzchen gefüllt, an den Wänden lehnt, wer keinen Sessel mehr ergattert hat. Im Publikum überraschend viele jüngere Leute, aber auch bekannte Persönlichkeiten aus der Gemeinde. Das Podium ist gleichfalls gut besetzt mit dem dreiköpfigen Präsidium der IKG, den Herrn Peter Schwarz (ESRA), Autor Doron Rabinovici, Christian Ortner (Journalist) und Alexander Pollak (SOS Mitmensch). Sie analysieren und formulieren unter der souveränen Leitung von Leon Widecki kompetent und teilweise auch kontrovers.
Letzteres vor allem C. Ortner, prominenter Kolumnist für „Wiener Zeitung“ und „Presse“. Er schildert die Situation drastisch und stellt vehement in Abrede, dass eine erfolgreiche Integration Asylsuchender jemals Aussichten auf Erfolg haben könnte, Diese seien großteils Analphabeten, ohne Berufsausbildung, im Geist des Antisemitismus und Israel – Hasses sowie mit Wertvorstellungen aufgewachsen, die mit europäischen absolut inkopatibel sind. Unter anderem postuliert er, mehr als befremdet gewesen zu sein, mit ansehen zu müssen, wie freiwillige HelferInnen an der Grenze und am Westbahnhof „jungen Männern geradezu hofierten, die aufgrund ihrer religiösen Ausrichtung Frauen und westliche Werte verachten“. Anders als bei anderen Anlässen schnellen im Publikum sofort viele Arme in die Höhe, kommen Wortmeldungen in großer Zahl. Mit seinem Statement erntet Ortner in teils recht emotioneller Stellungnahmen energischen Widerspruch. Mehrere junge Frauen und Männer, „outen sich“, selbst aktive Hilfe vor Ort geleistet zu haben, stellen das „Hofieren“ kategorisch in Abrede und fühlen sich beleidigt. Worauf Ortner allerdings einlenkt und sich für den Ausdruck entschuldigt, ohne jedoch von seiner Überzeugung auch nur ein Jota abzurücken.
Die Erfahrungen dieser jüdischen HelferInnen mit Flüchtlingen sind gemischt, wenn auch überwiegend positiv. Bemerkenswert, dass vor allem Frauen berichten, Halsketten mit Magen David getragen zu haben. Für viele der Betreuten hätte diese „Kennzeichnung“ keine Rolle gespielt, sie waren dankbar gewesen und zeigten dies auch. Es gab allerdings Kontakte, bei denen Flüchtlinge sich angesichts des Davidsterns kategorisch geweigert hatten, sich helfen zu lassen…
Wie voraussehbar, kommen auch zahlreiche Wortmeldungen, in denen diffuse bis sehr konkrete Ängste vor einem Ansteigen des islamistischen Extremismus geäußert und jene, die sich bemühen, die Problematik differenziert zu betrachten, als „Naivlinge“ apostrophiert werden. Gefordert wird auch, die IKG müsse sich in die öffentliche Debatte stärker einbringen und vor allem von der Bundesregierung energisch effiziente Maßnahmen zur Integration verlangen. Verbale Scharmützel gibt es auch, als angeregt wird, die Kultusgemeinde müsse offensiv auf islamische Organisationen zugehen und in einen Dialog eintreten. Gegenstimmen werden laut, solches sei völlig zwecklos und die IKG sollte sich auf Grund der Kleinheit der „Community“ selbst nicht so wichtig nehmen.
Zu diesem Punkt schildert Präsident Oskar Deutsch beredt seine negativen Erfahrungen, mit dem Präsidenten der größten islamischen Organisation, Fuad Sanac, ins konkrete Gespräch zu kommen – sowohl brieflich als auch unter vier Augen. Dieser beantworte Briefe nur selten und im Gespräch weiche er einfach aus oder versuche, konkrete Übelstände zu verharmlosen.
Zu guter Letzt werden auch die zunehmenden, antisemitisch motivierten Übergriffe und Gewaltausübungen seitens türkischer Halbwüchsiger und Erwachsener, vor allem bei Fußballspielen, angesprochen, die Eltern bereits veranlassten, ihre Kinder nicht mehr zu MACCABI zu schicken. Nach knapp 3 Stunden endet der offizielle Teil, doch man steht noch viel länger, in Kleingruppen heftig diskutierend, beisammen. Für den Berichterstatter lässt sich die Haltung von Wiens Juden, soweit dieses Bürgerparlament als repräsentativ zu betrachten ist, vereinfacht zusammenfassen:
Der Großteil spricht sich dafür aus, Flüchtlingen müsse schon allein aus ethisch – moralischen Gründen individuell und institutionell geholfen werden Zumal auch jede jüdische Familie ihre eigene Fluchtgeschichte erzählen kann. Darüber hinaus dürfe der Staat nichts unversucht lassen, Integrationswilligen eine Chance zu geben, und durch geeignete Maßnahmen „Parallelgesellschaften“ und damit Zustände wie in Frankreich unbedingt verhindern. Als „naiver Gutmensch“ will sich niemand punzieren lassen, denn es herrscht allgemeiner Konsens darüber, dass die potentielle Gefahr, speziell für Österreichs Juden, durch islamistische Verhetzung vor allem jener Muslime, bei denen Integration scheitert, sich nicht wegleugnen oder schönreden lässt. Die moslemische Szene müsse sehr aufmerksam im Auge behalten werden. Jedes einzelne Gemeindemitglied sei daher aufgerufen, dazu beizutragen, die Sicherheitsmaßnahmen der Kultusgemeinde zu unterstützen.
Ein Bürgerparlament der beispielhaften Art. Bezeichnend die Wortmeldung eines jungen Israeli, Soldat bei einer Eliteeinheit und erst kurz in Wien, der meint, er sei überwältigt von der „solidarischen, ja geradezu familiären Atmosphäre“, die er in diesem Saal erleben durfte. In Zeiten der Gefahr rücken wir halt doch zusammen…