Die Vorhaut in aller Munde …

von Ernst Meir Stern

Es war wirklich schon urfad, in der Sauregurkenzeit  immer wieder nur über Affenhitze, unsommerliche Saukälte und die bösen Griechen lesen zu müssen. Dann jedoch war plötzlich alles anders: Die Vorhaut war in aller Munde!
Ausgehend von dem skurrilen Kölner Gerichtsurteil, das Beschneidungen an Säuglingen  als Körperbeschädigung und unerlaubten Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht des Menschen unter Strafandrohung stellte, tobte ein wüster Streit einander widersprechender Kommentare und Expertisen in den Medien. Das Ganze war in höchstem Maße emotionell und unterhaltsam. Jedenfalls für mich.

Historische, medizinische, psychologische und religiöse Argumente für und wider wurden ins Treffen geführt, Gelehrte, Intellektuelle, Philosophen, Ärzte, Soziologen, Juristen und natürlich das „Bodenpersonal Gottes“  gaben ebenso ihren Senf dazu wie berufsmäßige Kommentarschreiber. Die Debatte in Boulevard- und Qualitätsmedien, auf Facebook, Twitter und in Blogs wurde mit größter Leidenschaft geführt – und natürlich meldeten sich, wie könnte es auch anders sein, vornehmlich Nichtjuden zu Wort.
Da hatten wir jene aus der „progressiven“ Ecke, die, natürlich  „bei aller Liebe zum Judentum“, diesem „längst fällige Reformen“ diverser „archaischer und längst obsolet gewordener Bräuche und Riten“ nahelegten. Dass auch einige jüdische Stimmen sich pflichtschuldigst  in diesem Chor bemerkbar machten, wundert auch keinen.
Und dann, wie könnte es anders sein, die unvermeidlichen Rülpser all jener, die hier, wie bei der rituellen Schlachtung, endlich einen willkommenen Vorwand gekommen sahen, es den Juden, und, in einem Aufwaschen, den Moslems, wieder einmal so richtig hineinzusagen. Manche formulierten es „intellektuell“ verklausuliert, indem sie meinten, die Circumcision verhindere den Integrationsprozess, Feministinnen wiederum verglichen diese (dümmer geht’s wohl nicht), mit der Genitalverstümmelung, und zuletzt las ich sogar Aussagen, in denen postuliert wurde, unter anderem sei es der Akt der Beschneidung, mit welchem sich die Juden seit Urzeiten außerhalb der Völker stellen und damit, eh klar, am Antisemitismus selbst Schuld tragen. Na eben.
Mehrmals hatte ich die Ehre, als Fotograf bei der „Brit Mila“ der Söhne von Freunden anwesend zu sein. Das Skalpell führten sowohl Chirurgen als auch professionelle „Mohalim“. Das Fotografieren des „Aktes“ selbst war schwierig, denn alles ging blitzschnell: Gebete, ein entschlossener, winziger Schnitt, Versorgung der Wunde – und schon war alles wieder vorbei. Manche der kleinen „Opfer“ greinten ein paar Minuten lang, andere wiederum taten nicht einmal das. Wesentlich mehr Sorgen musste man sich da schon um die Papis machen. Da wurden sogar die härtesten Sportlertypen infolge „Mitleidens“ kreidebleich, schrammten knapp an einer Ohnmacht vorbei und erholten sich erst nach einer Labung mit einem Stamperl Wodka sowie aufmunterndem Schulterklopfen der amüsierten Freunde. Manch stolze Mutti vergoss gemeinsam mit den Schwiegermamis so manche Zähre der Rührung.
Also, ehrlich, mir geht die ganze Diskussion, so ernst die Problematik des Urteils und dessen mögliche Folgen auch zu nehmen sind, schon so was am Toches vorbei … Als religiös nicht sonderlich praktizierender, aber ansonsten sehr bewusster Jude, (meinetwegen nennt mich auch einen Hebräer-Chauvi) sage ich jenen 46% aller Landsleute, die das Judentum am liebsten im Namen des Gesetzes an einer seiner Wurzeln beschnitten sehen wollen, kurz, bündig und herzlich  „Ihr könnt uns mal…!“